Fanatismus

Wirtschafts- und Management-Coaching

Fanatismus

Fanatismus

Eine logotherapeutische Betrachtung

In seinem Werk „Theorie und Therapie der Neurosen“ stellte Viktor Frankl eine bedeutende rhetorische Frage: „Sind Sie der Ansicht, dass ein Mensch, der das Beste will, auch berechtigt ist, jedes Mittel anzuwenden, das ihm tauglich erscheint?“ (Frankl, 1975, S. 143). Diese Frage wirft ein Schlaglicht auf das Thema Fanatismus und regt zur Reflexion über die moralische Legitimität der Mittel an, die ein Individuum oder eine Gruppe zur Erreichung der jeweiligen Ziele einsetzt. Aus logotherapeutischer Sicht lässt sich der Zusammenhang zwischen dem Streben nach dem Besten und der ethischen Verantwortung des Einzelnen untersuchen.

Die Logotherapie, die von Viktor Frankl entwickelt wurde, betont die Bedeutung von Sinn und Verantwortung im Leben eines Menschen. Sie legt dar, dass jeder Mensch eine einzigartige und unverwechselbare Bedeutung besitzt, die es zu entfalten gilt. Demnach liegt es in der Verantwortung jedes Einzelnen, seinen individuellen Sinn zu entdecken und danach zu streben. Frankl warnt jedoch davor, dass das Streben nach dem Besten nicht zu einem moralischen Relativismus führen sollte, bei dem jedes Mittel als gerechtfertigt angesehen wird, solange es dem Erreichen der eigenen Ziele dient.

Fanatismus ist eine extreme Ausprägung dieser Denkweise, bei der Individuen oder Gruppen ihre eigenen Überzeugungen und Interessen über alle anderen stellen und bereit sind, Gewalt und Unterdrückung anzuwenden, um ihre Ziele zu erreichen. Logotherapeutisch betrachtet liegt der Fanatismus in einer verzerrten Wahrnehmung des Sinns und der Verantwortung begründet. Indem Fanatiker ihr eigenes Wohl über das Gemeinwohl stellen, verlieren sie den Bezug zu den Werten der Menschlichkeit und der Ethik. Die Lebensweise eines Fanatikers ist gekennzeichnet durch Intoleranz, Empathielosigkeit, Immunisierungsstrategien und Hyperintentionalität (vgl. Riedel et al., 2015, S. 190). Frankl warnt vor einem reinen Utilitarismus, bei dem jedes Mittel gerechtfertigt ist, solange es dem Erreichen des gewünschten Ziels dient. Er betont, dass das ethische Bewusstsein und die Verantwortung gegenüber anderen Menschen und dem Gemeinwohl in unsere Handlungen einfließen sollten.

Die Logotherapie fordert die Menschen auf, ihr Streben nach dem Besten mit einer verantwortungsvollen Haltung zu verbinden. Das bedeutet, dass sie ihre Ziele und Werte reflektieren sollten, um sicherzustellen, dass sie im Einklang mit dem Wohl der Gesellschaft stehen. Es geht darum, die Freiheit und Autonomie des Einzelnen zu respektieren, ohne dabei die Rechte und Bedürfnisse anderer zu verletzen.

Frankls Frage stellt den Leser vor die Herausforderung, über die Grenzen des individuellen Willens und die ethischen Implikationen des Handelns nachzudenken. Die logotherapeutische Perspektive betont, dass das Streben nach dem Besten nicht bedeuten sollte, dass jeder Ansatz akzeptabel ist. Es erfordert eine tiefe Selbstreflexion und ein bewusstes Abwägen der Konsequenzen unserer Handlungen. Die ethische Verantwortung gegenüber anderen Menschen und dem Gemeinwohl muss stets berücksichtigt werden.

Viktor Frankls rhetorische Frage zu Fanatismus und dem Einsatz jedes Mittels verdeutlicht die Relevanz einer logotherapeutischen Perspektive. Die Logotherapie betont den Wert von Sinn und Verantwortung. Nicht nur in der Suche nach dem eigenen Sinn im Leben, auch in der Diskussion mit Andersdenkenden. „Argumentation ist die Bearbeitung einer Streitfrage durch das Geben und Nehmen von Gründen.“ (Hannken-Illjes, 2018, S. 20). Eine Argumentation dient somit der Einlösung von Geltungsansprüchen, die durch Gründe erfolgen muss. Und natürlich sind Geltungsansprüche strittig. Denn wenn nichts strittig ist, muss auch nicht argumentiert werden. Laut Habermas ist das Ziel von Argumentation die Herstellung eines Konsenses (vgl. Habermas, 1995). Genau das geschieht bei einem Fanatiker nicht denn er schränkt seinen Gestaltungsraum extrem ein und reduziert somit die Fülle von Möglichkeiten auf eine einzige Alternative (vgl. Riedel et al., 2015, S. 190).


Literatur

Frankl, V. E. (1975). Theorie und Therapie der Neurosen: Einführung in Logotherapie und Existenzanalyse (4., erw.erg. Aufl). E. Reinhardt.

Habermas, J. (1995). Theorie des kommunikativen Handelns. Suhrkamp.

Hannken-Illjes, K. (2018). Argumentation: Einführung in die Theorie und Analyse der Argumentation. Narr Francke Attempto.

Riedel, C., Deckart, R., & Noyon, A. (2015). Existenzanalyse und Logotherapie: Ein Handbuch für Studium und Praxis (2. Auflage). WBG.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert